Länder- und kommunale Finanzen: Kriegspolitik zerstört die Grundlagen der sozialen Republik

… am Beispiel Berlin

In den Bundesländern werden zurzeit die Haushalte aufgestellt. 500 Milliarden Sondervermögen stehen für die Infrastruktur, so das Versprechen der Regierung, zur Verfügung. Doch ob in Berlin, Hessen oder Sachsen: überall Sparhaushalte, überall wird in fast allen Bereichen, im Sozial-, im Kultur-, im Bildungsbereich, gekürzt – und zwar nicht nur bei den freien Trägern, sondern in allen Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsorge und in der Verwaltung.

Für den Berliner Finanzsenator Evers (CDU) ist die Lage schlimmer als unter Sarrazin (2002-2009 für die SPD Finanzsenator im Berliner Senat). Evers Antwort: „Wir brauchen den Mut zur Disruption“ (übersetzt meint dieses Neuwort „Bestehendes auflösen oder zerstören“). Damit beweist Evers nicht nur, dass er den englischsprachigen Business -Jargon kennt. Mit „Disruption“ meint er die „strukturelle Entlastung der Kommunen“ – besonders im sozialen Bereich: „Gerade im Sozialrecht werden echte Reformen auch schmerzhaft sein“.

Ist das neu? Sicher gab es unter dem Druck der Schuldenbremse fortwährend Sparprogramme. „Ja zu Berlin – Nein zum Kaputtsparen!“ Das war die Losung von ver.di Berlin schon vor Jahren. Betroffen sind Schulen, Unis, Krankenhäuser, Öffentlicher Nahverkehr, Jugendarbeit, Rettungsdienste, Bürgerämter, … Es fehlt überall an Investitionen und Personal.

Aber es gibt eine neue Phase: mit dem Ukrainekrieg hat eine radikale „Umstrukturierung“ der Haushalte und der Gesellschaft begonnen. Es geht nicht mehr „nur“ um Sparpolitik im Sinne einer „klassischen Umverteilung von unten nach oben“, wie wir sie bis jetzt immer wieder erlebt haben, sondern erstmals stehen die Haushalte (auch der Länder) explizit unter Anforderungen, die bedingt sind durch die Vorbereitung auf den Krieg und die damit verbundene Herstellung und Finanzierung der „Kriegstüchtigkeit“ der Bevölkerung.

In der Krise des kapitalistischen Systems garantiert nur noch die Rüstungsproduktion und letztlich der Krieg Profite, weil sie staatlich garantiert und finanziert werden, und sei es durch staatliche Kreditaufnahmen. Alle sozialen Errungenschaften sind „überflüssige“ Kosten.

Der Krieg und der soziale Krieg sind zwei Seiten einer Medaille.

Erstens: Die Wirtschaftskrise

Die Sanktionen gegen Russland haben zu einer Verteuerung der Energie, zur Inflation geführt. Davon wurde kein Bürger, keine Bürgerin verschont, aber auch nicht die Einrichtungen der Öffentlichen Daseinsvorsorge und das Land Berlin.

Die Folgen der Wirtschaftskrise kommen auch in Berlin an. Das Wirtschaftswachstum nähert sich der Nullmarke, die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die Zahl der Insolvenzen steigt, bundesweit und in Berlin.

Die Sanktionen, die Deutschland und die Länder in eine Welle der Deindustrialisierung treiben, waren und sind eine politische Entscheidung.

Zweitens: „Unbegrenzte Kriegskredite“

Mit der Entscheidung für „unbegrenzte Kriegskredite“ wird von der Regierung Merz/Klingbeil die Richtung vorgegeben – Kanonen statt Butter. Keine finanziellen Grenzen mehr für Rüstung und Kriegsvorbereitung. Öffentliche Daseinsvorsorge wird nicht mehr ausgehend vom Lebensbedarf für die Bevölkerung, sondern nur im Interesse der Kriegspolitik definiert.

Das gesamte gesellschaftliche Leben wird mehr und mehr der Kriegsertüchtigung der Gesellschaft unterworfen, wozu die entsprechende Kriegspropaganda angekurbelt wird.

Die Umwandlung von ziviler Produktion in Rüstungsproduktion trifft auch Berlin und Brandenburg: Aus dem Autozulieferer Pierburg wird eine Rheinmetall Waffen Munitions GmbH. Der Waggonbau Görlitz, eine traditionsreiche Fabrik zur Herstellung von Schienenfahrzeugen, wurde von Alstom übernommen und wird nun von dem Rüstungskonzern KNDS betrieben. KNDS wird dort zukünftig Baugruppen für Panzer, wie den Leopard 2, produzieren, anstatt Bahnwaggons.

Und nicht zuletzt betrifft es die öffentliche Infrastruktur, die unter das Primat der Kriegstüchtigkeit gestellt wird: Straßen, Eisenbahnlinien, Krankenhäuser, aber auch Schulen usw.

Einen ersten Überblick dazu erhält man im Grünbuch zur zivilen und militärischen Zusammenarbeit (ZMZ 4.0). Ich nehme das Beispiel des Gesundheitswesens, weil es besonders klar ist: erwartet werden bis zu 1.000 Patientinnen und Patienten pro Tag als Kriegsopfer, „von denen 33,6 Prozent intensivpflichtig, 22 Prozent vermehrt pflegebedürftig und 44,4 Prozent leichter verletzt sind“. Man staunt über die Präzision der Prozentpunkte. Das Grünbuch geht davon aus, dass die medizinische Versorgung der Bevölkerung eingeschränkt werden muss, was eine entsprechende „Kommunikationsstrategie“ erfordert.

Noch sind wir nicht „krisenresilient“, so der Vivantes-Chef Dankert.

Drittens: „Sondervermögen Infrastruktur“ von 500 Milliarden Euro

Die Bundesregierung brauchte für ihre „unbegrenzten Kriegskredite“ eine Mehrheit im Bundesrat, also der Vertreter der Landesregierungen. Für die Zustimmung wurde ihnen ein „Sondervermögen Infrastruktur“ in Höhe von 500 Milliarden Euro versprochen. Davon sollen die Länder 100 Milliarden direkt erhalten – das wären für Berlin insgesamt ca. 5,2 Milliarden, also ca. 400 Millionen pro Jahr.

Da diese massiven Kredite die Zinsen hochtreiben, steigen auch die Zinsausgaben. Finanzsenator Evers geht von 340 Millionen Euro mehr Zinsen pro Jahr, allein für Berlin aus. Damit wären von den 400 Millionen 60 Millionen Euro übrig, was für ein Witz. (Morgenpost 19.4.25)

US-Präsident Trump fordert von den europäischen Ländern 5% des BIP für den Krieg. Die deutsche Regierung unter Merz/Klingbeil hat sofort zugestimmt.

Das würde für Deutschland heißen, dass von derzeit knapp über 10% fast die Hälfte des Bundeshaushaltes für das Militär und Krieg ausgegeben werden müssten, nämlich 225 Mrd. Euro.

Das durchsetzen zu können, daran glaubt nicht einmal die Bundesregierung. Also haben sie versprochen 3,5% direkt in die Rüstung und Kriegsvorbereitung zu stecken und 1,5% in die Kriegsertüchtigung. „Zufällig“ gibt es ja ein „Sondervermögen Infrastruktur“.

So dient dieses Sondervermögen weitgehend der militärischen Aufrüstung: z.B. bei Brücken, Straßen, Bahn für Panzer- und Militärtransporte; Kriegsertüchtigung der Infrastruktur, der Krankenhäuser, Bunkerbau; Zivil- und Bevölkerungsschutz… Also wieder nichts mit mehr Investitionen zur Schulsanierung… und für mehr Personal, für die Öffentliche Daseinsvorsorge in Ländern und Kommunen.

Vierter Akt: Der „Investitionsbooster“

Zur Bekämpfung der Wirtschaftskrise haben Merz/Klingbeil ein Mega-Milliarden-Investitionspaket für die Wirtschaft aufgelegt. Von den ca. 50 Mrd. Euro Steuerausfällen entfallen auf die Länder ca. 17 und die Kommunen ca. 14 Mrd. Euro. Der Druck für Kürzungen in den Ländern und den Kommunen steigt immens.

Die „Wachstumslokomotive“ von BlackRock-Merz wird das Rekorddefizit der Kommunen von 25 Mrd. Euro im Jahr 2024 noch weiter hochtreiben.

Dennoch lässt es sich die Regierung nicht nehmen, betrügerisch ein Wirtschafswachstum von 2% zu versprechen, von dem Bund und Länder profitieren sollen. Schon gab es erste neue Wirtschaftsprognosen von Instituten, die die 2% „rein wissenschaftlich“ auf die Tafeln malten. Doch begann an jenem Tag Israel mit seiner „Drecksarbeit“, so Bundeskanzler Merz, und griff den Iran militärisch an – und schon kletterte der Ölpreis nach oben und alle Ökonomen müssen neu rechnen.

Welcher Ausweg?

Zur Frage der Finanzspielräume

Der Berliner CDU/ SPD-Senat und die ihm verbundenen ver.di-Funktionäre suchen in der jetzigen Haushaltsdebatte nach Finanzspielräumen, um Widerstandsbewegungen gegen die Kürzungspläne zu beruhigen. Sie klammern sich daran, dass sich das Land Berlin künftig um 0,35% des BIP verschulden darf, das wären ca. 700 Millionen Euro, die an erfüllbare Bedingungen geknüpft seien.

Außerdem greift der Senat zum Mittel der Ausweitung der Schattenhaushalte, in dem er Zuschüsse an die öffentlichen Betriebe kürzt und Investitionen von den Betrieben durch eigene Kreditaufnahmen finanzieren lässt. Man könne auch Landessteuern erhöhen, Gebühren, wie Parkgebühren, und einiges mehr.

Wieder einmal will man das Feuer mit Benzin löschen.

„Bisherige Finanzpolitik ist unzureichend: Berlin braucht mehr Personal und Investitionen“

Anlässlich der Abgeordnetenhauswahlen 2021 hatte der ver.di-Bezirk Berlin in einer Positionsbroschüre unter der Überschrift „Bisherige Finanzpolitik ist unzureichend: Berlin braucht mehr Personal und Investitionen“ bereits geschrieben:

„Die Schulden Berlins von knapp 63 Milliarden Euro im Jahr 2011 wurden bis 2019 auf 57,5 Milliarden Euro zurückgeführt. Doch zu erwarten ist, dass sie 2021 auf 64 Milliarden Euro steigen.

Es ist offensichtlich: Aus eigener Kraft wird Berlin niemals seine Schulden abbauen. ver.di tritt für mutige Initiativen ein, um Berlin endlich zu entschulden. Für ver.di gibt es nur einen Weg: die Sicherung und den Erhalt der kommunalen und sozialen Infrastruktur Berlins und ihre Finanzierung durch den öffentlichen Haushalt.“

Inzwischen sind die Schulden auf ca. 65 Mrd. Euro angewachsen, wobei von 2001 bis 2023 ca. 42 Mrd. Euro an Zinsen bezahlt wurden. Das heißt 65% der Gesamtschulden sind neu aufgenommene Kredite, um die Zinsen zu bezahlen.

Soll das so weitergehen?

In dem genannten Positionspapier hieß es:

„ver.di fordert mehr Personal in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes, den Krankenhäusern, den Kindertagesstätten und Schulen, der Verwaltung, dem öffentlichen Personennahverkehr, dem kommunalen Wohnungsbau und ebenso bei den Kultureinrichtungen.“

Heute ist die Situation viel dramatischer als 2021.

Zur Frage des fehlenden Geldes schrieb ver.di damals:

„Seit Jahren ist von den politischen Verantwortlichen zu hören: „Es ist kein Geld da.“ Tatsache ist – die Pandemie hat es offenbart – es gibt keine Schuldenbremse zur Rettung der Gewinne von Konzernen, Banken und für die Finanzmärkte. Innerhalb weniger Tage konnten Milliarden mobilisiert werden, während es kaum finanzielle Unterstützung für die öffentliche Daseinsvorsorge und ihre Betriebe gibt.“

Das war 2021 – und heute? Wir sollen zu den „unbegrenzten Kriegskrediten“ schweigen? Absurd!

Es bleibt nur eine Konsequenz: Mobilisierung aller Bereiche gegen die Kriegspolitik der Regierung und ihre Umsetzung in eine Kaputtsparpolitik gegen Länder und Kommunen!

Die ganze Stadt und alle Bereiche sind von dieser Kaputtsparpolitik betroffen: Nicht nur die freien Träger im sozialen, im Jugend- und Kulturbereich sowie die Integrationsmaßnahmen für Migranten, auch die öffentlichen Betriebe und die Verwaltung, die Schulen mit ihrem gigantischen Investitionsstau. Und überall fehlt Personal.

Der Sozialstaat ist unvereinbar mit Krieg und Kriegsvorbereitung.

Deshalb müssen alle Bereiche, einschließlich der Bezirke, der öffentlichen Betriebe und auch der freien Träger, in die Aktion gerufen werden.

Wir brauchen ein Rettungsprogramm für die Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge.

Gotthard Krupp, 22. Juni 2025

Veröffentlicht in „Soziale Politik & Demokratie“ Nr. 531 vom 27. Juni 2025


Beispiel Krankenhaus Vivantes

Der Senat, so regelt es das Gesetz, müsste eigentlich 100% der Investitionskosten übernehmen. 2023 zahlte er einen Zuschuss von ca. 62 Millionen Euro an Vivantes, das waren 40% der Investitionen in Höhe von 152 Millionen Euro. 2024 betrug der Zuschuss ca. 28 Millionen, das waren 20% der Investitionen in Höhe von 134 Millionen Euro. Also er hat seine Zuschüsse um mehr als die Hälfte gekürzt – und das in einem schon kaputtgesparten Krankenhaus. Das hat Folgen für die Beschäftigten, aber auch für die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung.


Schulstationen schließen

Der Jugendstadtrat von Berlin-Mitte, Christoph Keller (Linke), kündigt an, die fünf letzten Schulstationen im Bezirk zum Jahresende zu schließen. Schulstationen sind Räume, in denen Kinder betreut werden, die akute Probleme haben. Keller sagt dazu: „Es ist richtig, dass wir uns als Bezirksamt und ich als Jugendstadtrat gezwungen sehen, die Schulstationen nicht weiterfinanzieren zu können“. Es gehe um rund 600.000 Euro an jährlichen Kosten. Er bedaure das sehr, da die Stationen „hervorragende Jugendsozial- und Elternarbeit“ leisteten (Tagespiegel, 11.6.2025).

Der finanzielle Rahmen ist durch die Kriegspolitik abgesteckt und er wirkt sich auf allen Ebenen aus. Niemand kann sich den Anforderungen der kriegstreibenden Politik entziehen.


Siehe auch:

Dokumentiert | Beschluss des Bezirksvorstandes ver.di Berlin vom 14. Juli 2025: „Nein zur Kürzungspolitik des Berliner Landeshaushalts“


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